Berlin – Die neue Sanddorn-Zeit naht. Ende August beginnt die Ernte der orangefarbenen Multivitamin-Beere mit dem speziellen Geschmack. Deutschlandweit stehen die meisten der kultivierten Wildsträucher in Brandenburg, gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt.
«In der DDR war im Umlauf, dass sowjetische Kosmonauten Sanddorn ins All mitgenommen haben – für die Gesundheit», erinnert sich der 85-jährige Hans-Joachim Albrecht. Er gilt bis heute als der Experte für Sanddorn und seine Züchtung.
In den heutigen
Späth’schen Baumschulen in Berlin – zu DDR-Zeiten Teil des Kombinats VEG Saatzucht Baumschulen Dresden – kreierte Albrecht als Zuchtleiter mit seinem Team allein sieben weibliche Sorten Sanddorn sowie die männlichen Bestäuber, nachdem die DDR auf die genügsame Wildfrucht gestoßen war. Albrecht: «Wir mussten Erfolge bringen.» Insgesamt wurden seinerzeit in dem Betrieb rund 40 Pflanzensorten gezüchtet.
Die Beere wurde auch schon mal «Zitrone des Ostens» genannt – wegen ihres enorm hohen Gehalts an Vitamin C sowie neun anderer Vitamine. Und in ihrem Hit «Du hast den Farbfilm vergessen» sang Rockröhre Nina Hagen: «Hoch stand der Sanddorn am Strand von Hiddensee».
Der Verband zur Förderung von Sanddorn und Wildobst schätzt, dass die Sträucher heute auf mehr als 800 Hektar angebaut werden: in Brandenburg auf etwa 400 Hektar, in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt jeweils auf etwa 200 Hektar; aber auch in Niedersachsen und Baden-Württemberg gebe es Plantagen. «Sanddorn ist stark im Kommen», stellt der Vereinsvorsitzende Jörg-Thomas Mörsel fest.
Deutschland müsse für das mittlerweile gefragte Nischenprodukt bis zu 2000 Tonnen im Ausland hinzukaufen. Säfte, Marmeladen, Gummibären und Liköre werden aus den Früchten des genügsamen Strauchs, der in kultivierter Form 20 Jahre gute Erträge verspricht. Auch in Kosmetika kommen Stoffe der vielseitigen Beere vor.
Weltweit ist China der größte Sanddorn-Produzent. Dort sowie in Indien und Nepal werde der Strauch mit den verzweigten Wurzeln auch gegen die Bodenerosion in die Erde gesetzt, erklärt Mörsel. In der Internationalen Sanddorn-Gesellschaft seien 54 Mitgliedsländer.
Der gelernte Gartenbauingenieur Albrecht ist seit jeher von der lange unterschätzten Pflanze fasziniert. Er habe ihren Wert als Nahrungsmittel erkannt, erzählt der Rentner noch heute stolz. 1941 sei in Deutschland die erste Schrift zum Sanddorn herausgekommen. Der hatte sich einst nach der Eiszeit hierzulande angesiedelt. Im Mittelalter habe man gedacht, die Pflanze sei giftig.
1979 wurde dann laut Albrecht die erste Züchtung aus einem wilden Sandorn für den Kulturanbau nach jahrelanger Mühe und Prüfung zugelassen. Ihr Name: Leikora. Die Eigenschaften: große Früchte, viel Ertrag, wenige Dornen. Andere neue Sorten wurden Frugana, Askola, Habego, Sirola oder Dorana getauft. «Es mussten Phantasienamen sein, wir waren dann schon recht geübt», berichtet Petra Müller, die damals auch in der Berliner Baumschule arbeitete.
Die 60-Jährige betreibt heute mit einem Partner eine Firma für Wildobstpflanzen in Brandenburg. Auch Sanddorn sei dabei. «Ich möchte die alten Sorten erhalten», begründet Müller ihre Anstrenungen. Dafür müsse man aber einen langen Atem haben. Ex-Züchter Albrecht lobt: «Sie hat den Sanddorn gerettet und Mutterpflanzen erhalten.»
Die erste DDR-Plantage sei 1980 in Ludwigslust (heute Mecklenburg-Vorpommern) angelegt worden. 3000 Pflanzen hätten sie dafür geliefert. Der sonnenliebende Sanddorn, anfangs für den Schutz der Ostseeküste gepflanzt, habe gepasst: wenig Ansprüche an den Boden und Selbstversorger bei Stickstoff.
«Es war Mangelwirtschaft, aber Sanddornsaft gab es dann», sagt Albrecht lachend. Er trinke ihn bis heute. Als guter Ertrag hätten neun Tonnen pro Hektar gegolten – aber nur alle zwei, drei Jahre, weil die meisten Sträucher für die Ernte geschnitten worden seien.
Allein 1986 wurden den Angaben zufolge dann schon fast 40 000 Sanddornpflanzen unter Albrechts Regie produziert, genug für etwa 25 Hektar. Auch in den Westen, nach Schleswig-Holstein, sei das Produkt aus Ost-Berlin gegen Devisen gegangen, erinnert sich der frühere Züchter, der bis 1997 im Beruf blieb. «Mit Ware aus den Baumschulen hat die DDR gut verdient», ergänzt Müller. In der Berliner Firma sei davon aber nichts gelandet.
Nach 1990 wurden Sanddornpflanzen aus der Ost-Berliner Züchtung nach Italien, Griechenland, Portugal und Ungarn verkauft. Über einen Hauptlizenznehmer gelangten sie auch in die USA, wie sich Albrecht erinnert. Doch frühere DDR-Plantagen seien teilweise verwildert, nur wenige weiterentwickelt worden. Heute wird in den Späth’schen Baumschulen kein Sanddorn mehr gezüchtet. Aber hier kultivierte Sorten würden weiter angeboten, betont Geschäftsführer Holger Zahn.
Derzeit leuchten Sträucher der Sorte Sirola in einer langen Topfreihe. «Wir wollen auch immer etwas Besonderes im Angebot haben und die Tradition hochhalten», sagt der 57-Jährige Chef von Berlins ältester Baumschule. Sanddorn sei auch ökologisch wertvoll, weil sich viele Vögel von den Beeren ernährten. Im Privatgarten mache sich Sanddorn überdies in einer bunten Hecke gut.
Sanddorn-Ernte: Mindestens drei Sträucher im Garten nötig
Wer Sanddorn (Hippophae rhamnoides) im eigenen Garten ernten möchte, muss mindestens drei Sträucher setzen. Nur dann lässt sich die Befruchtung der Blüten und das Wachstum von Früchten garantieren. Denn der Sanddorn ist kein Selbstbestäuber wie die meisten Obststräucher oder -bäume, erklärt das Bundeszentrum für Ernährung in Bonn. Nur die weiblichen Pflanzen bilden Früchte aus. Daher sollten im Garten an einem sonnigen Standort mindestens zwei weibliche und ein männliches Exemplar wachsen.
Die Ernte der gesunden Früchte ist nicht leicht: Die Pflanzen haben lange Dornen, die Beeren lassen sich nur schwer abpflücken, und sie platzen obendrein schnell. Daher rät das Bundeszentrum, besser ein Tuch unter dem Gehölz auszubreiten und die Beeren abzuschütteln.
Fotocredits: Andrea Warnecke
(dpa)